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Arnold Jacobshagen: Giacomo Puccini und seine Zeit

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Puccini ist omnipräsent

Im Jahr 2023 war Giacomo Puccini wieder einmal der Star der Opernstatistik: Platz 2 der Top 10 Opernkomponisten – und gleich vier seiner Opern gehörten zu den zehn weltweit am häufigsten aufgeführten: „La bohème“, „Madama Butterfly“, „Turandot“ und „Tosca“. Kein anderer Komponist kommt da heran – selbst Mozart nicht. Puccini ist auf unseren Opernbühnen omnipräsent. Braucht es da wirklich noch ein weiteres Buch über sein Werk und seine Künstlerperson? Wissen wir nicht längst alles über Schwergewichte wie ihn und sollten unsere Ressourcen besser darauf verwenden, zum Beispiel verdrängte und vergessene Komponistinnen zu erforschen?

Puccinis galt nie als „Genie“

Das Spannende an Arnold Jacobshagens Buch ist allerdings, dass es auch anders gelesen werden kann als einfach nur eine weitere Puccini-Biografie. Der Autor liefert mit seinem Text eine Diskursanalyse über die historische musikwissenschaftliche Imagebildung des Komponisten. Puccini nämlich, das erfährt man durch die Lektüre des Buches, hat im musikwissenschaftlichen und journalistischen Diskurs eigentlich nie als „Genie“ gegolten, wie es nach ihrem Ableben etwa bei Mozart und Beethoven der Fall war. Vielmehr haben Kritiker, Journalisten und selbst die Autoren seiner Nachrufe ihm immer wieder Raffinesse, Tiefgang und kompositorische Qualität abgesprochen. Den Erfolg seiner Opern labelten sie als pure Folge kluger Öffentlichkeitsarbeit. Puccini habe mehr oder weniger dem Publikum nach dessen Geschmack geschrieben.

Puccini als „femininer“ Künstler

So zog sich ein abschätziger Tonfall gleichsam durch die allermeisten der bisher erschienenen Biografien. Darunter schafften es sogar einige, bis heute wirksame Narrative über den Komponisten zu etablieren. Eines davon ist die misogyne Erzählung von Puccini als eines besonders „femininen“ Künstlers. Dazu schreibt Jacobshagen: „Die bis heute geläufige oder zumindest unbewusst in unzähligen Texten präsente Ansicht, dass Puccini ein besonders ‚femininer‘ (und damit implizit auch ein mit bestimmten tradierten Wertvorstellungen von erhabener ‚männlicher‘ Kunst inkompatibler) Künstler sei, geht zu einem nicht unerheblichen Anteil auf die seitenlangen frauenverachtenden Tiraden Fausto Torrefrancas zurück.“ Der „nationalistisch gesonnene“ Fausto Torrefranca schrieb 1912 sein Buch „Giacomo Puccini e l’opera internationale“, das Jacobshagen in seinem Text wiederum eher als „Polemik“ denn als eine ernstzunehmende Abhandlung bezeichnet.

Dem italienischen Faschismus zugeneigt

Wie ironisch ist es da, dass Puccini insbesondere in seinen letzten Jahren selbst dem italienischen Faschismus zugeneigt war und Mussolini dementsprechend auch nicht ohne Grund nach dessen Tod versuchte ihn „für die faschistische Bewegung zu reklamieren“. Allein verwunderlich ist es laut Jacobshagen, dass Puccinis späte Gesinnung „in der Puccini-Literatur zumeist verschwiegen wird.“ Genauso macht der Autor dankenswerterweise auch keinen Hehl aus Puccinis problematischer Beziehungs- und Familienführung und seiner patriarchal-maskulinistischen Selbstinszenierung mittels Jagdwaffen, Autos und Motor-Yachten.

Mit Stereotypen wird aufgeräumt

Auch mit solchen Einordnungen räumt Arnold Jacobshagen in seiner Biografie mit weit verbreiteten Stereotypen weitgehend auf. Er verortet Puccini als einen zwar zu Lebzeiten überragend erfolgreichen, aber gleichzeitig von der Fachpresse und Wissenschaft marginalisierten Komponisten. Der Grund für diese Ambivalenz ist derweil nicht ganz eindeutig, es kommen mehrere Faktoren zusammen – qualitativ schlechter als die Werke anderer großer Opernkomponisten ist Puccinis Musik allerdings nicht, da kann man Jacobshagens detaillierten musikalischen Analysen, vor allem im zweiten Teil des Buches, durchaus glauben.

Ungünstiges Geburtsjahr

Vielmehr kamen bei dem Komponisten einige ungünstige Faktoren zusammen, und ob man es glaubt oder nicht, sein Geburtsjahr mag damit zu tun haben: „Das Werk der in den 50er Jahren Geborenen teilt sich auf in das Jahrhundert ihrer Geburt und dasjenige ihres Todes – mit der Folge, dass die Geschichtsschreibung der einzelnen Jahrhunderte jeweils nur einen Teil des Gesamtwerks in den Blick nehmen und folglich weniger interessant finden würde als das der jeweils etwas älteren oder etwas jüngeren Kollegen. Puccini war zu alt und wurde auch als zu altmodisch empfunden, um für die Historiographie der Moderne ernstlich in Betracht zu kommen. Und in der Musikgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts blieb für ihn auch nur ein sehr enges Segment reserviert, nämlich dasjenige der italienischen Verdi-Nachfolge.“

Wertvoller historisch-kritischer Ansatz

Bei dem durchaus gelungenen Versuch den musikgeschichtlichen Diskurs und die Strukturen der zu Puccinis Zeit immer wirkmächtiger werdenden Musikindustrie nachzuzeichnen, tappt Arnold Jacobshagen allerdings selbst ab und zu in die Falle dieser Mechanismen, die er offenlegt. Zwischendurch wirkt es, als wolle er den Komponisten rehabilitieren und die Nachwelt doch von dessen Qualität als kompositorisches Genie überzeugen, ihr beweisen, dass sie die Tiefe und Raffinesse von Puccinis Werken systematisch unterschätzt hatte. Wahrscheinlich ist das sogar wahr – da argumentiert Arnold Jacobshagen schlüssig –, aber am Ende bringen Reflexe wie dieser den musikwissenschaftlichen Diskurs nicht wirklich weiter. Der historisch-kritische Ansatz des ersten Teils dieser Abhandlung ist vor diesem Hintergrund umso wertvoller.
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Puccini ist omnipräsent

Im Jahr 2023 war Giacomo Puccini wieder einmal der Star der Opernstatistik: Platz 2 der Top 10 Opernkomponisten – und gleich vier seiner Opern gehörten zu den zehn weltweit am häufigsten aufgeführten: „La bohème“, „Madama Butterfly“, „Turandot“ und „Tosca“. Kein anderer Komponist kommt da heran – selbst Mozart nicht. Puccini ist auf unseren Opernbühnen omnipräsent. Braucht es da wirklich noch ein weiteres Buch über sein Werk und seine Künstlerperson? Wissen wir nicht längst alles über Schwergewichte wie ihn und sollten unsere Ressourcen besser darauf verwenden, zum Beispiel verdrängte und vergessene Komponistinnen zu erforschen?

Puccinis galt nie als „Genie“

Das Spannende an Arnold Jacobshagens Buch ist allerdings, dass es auch anders gelesen werden kann als einfach nur eine weitere Puccini-Biografie. Der Autor liefert mit seinem Text eine Diskursanalyse über die historische musikwissenschaftliche Imagebildung des Komponisten. Puccini nämlich, das erfährt man durch die Lektüre des Buches, hat im musikwissenschaftlichen und journalistischen Diskurs eigentlich nie als „Genie“ gegolten, wie es nach ihrem Ableben etwa bei Mozart und Beethoven der Fall war. Vielmehr haben Kritiker, Journalisten und selbst die Autoren seiner Nachrufe ihm immer wieder Raffinesse, Tiefgang und kompositorische Qualität abgesprochen. Den Erfolg seiner Opern labelten sie als pure Folge kluger Öffentlichkeitsarbeit. Puccini habe mehr oder weniger dem Publikum nach dessen Geschmack geschrieben.

Puccini als „femininer“ Künstler

So zog sich ein abschätziger Tonfall gleichsam durch die allermeisten der bisher erschienenen Biografien. Darunter schafften es sogar einige, bis heute wirksame Narrative über den Komponisten zu etablieren. Eines davon ist die misogyne Erzählung von Puccini als eines besonders „femininen“ Künstlers. Dazu schreibt Jacobshagen: „Die bis heute geläufige oder zumindest unbewusst in unzähligen Texten präsente Ansicht, dass Puccini ein besonders ‚femininer‘ (und damit implizit auch ein mit bestimmten tradierten Wertvorstellungen von erhabener ‚männlicher‘ Kunst inkompatibler) Künstler sei, geht zu einem nicht unerheblichen Anteil auf die seitenlangen frauenverachtenden Tiraden Fausto Torrefrancas zurück.“ Der „nationalistisch gesonnene“ Fausto Torrefranca schrieb 1912 sein Buch „Giacomo Puccini e l’opera internationale“, das Jacobshagen in seinem Text wiederum eher als „Polemik“ denn als eine ernstzunehmende Abhandlung bezeichnet.

Dem italienischen Faschismus zugeneigt

Wie ironisch ist es da, dass Puccini insbesondere in seinen letzten Jahren selbst dem italienischen Faschismus zugeneigt war und Mussolini dementsprechend auch nicht ohne Grund nach dessen Tod versuchte ihn „für die faschistische Bewegung zu reklamieren“. Allein verwunderlich ist es laut Jacobshagen, dass Puccinis späte Gesinnung „in der Puccini-Literatur zumeist verschwiegen wird.“ Genauso macht der Autor dankenswerterweise auch keinen Hehl aus Puccinis problematischer Beziehungs- und Familienführung und seiner patriarchal-maskulinistischen Selbstinszenierung mittels Jagdwaffen, Autos und Motor-Yachten.

Mit Stereotypen wird aufgeräumt

Auch mit solchen Einordnungen räumt Arnold Jacobshagen in seiner Biografie mit weit verbreiteten Stereotypen weitgehend auf. Er verortet Puccini als einen zwar zu Lebzeiten überragend erfolgreichen, aber gleichzeitig von der Fachpresse und Wissenschaft marginalisierten Komponisten. Der Grund für diese Ambivalenz ist derweil nicht ganz eindeutig, es kommen mehrere Faktoren zusammen – qualitativ schlechter als die Werke anderer großer Opernkomponisten ist Puccinis Musik allerdings nicht, da kann man Jacobshagens detaillierten musikalischen Analysen, vor allem im zweiten Teil des Buches, durchaus glauben.

Ungünstiges Geburtsjahr

Vielmehr kamen bei dem Komponisten einige ungünstige Faktoren zusammen, und ob man es glaubt oder nicht, sein Geburtsjahr mag damit zu tun haben: „Das Werk der in den 50er Jahren Geborenen teilt sich auf in das Jahrhundert ihrer Geburt und dasjenige ihres Todes – mit der Folge, dass die Geschichtsschreibung der einzelnen Jahrhunderte jeweils nur einen Teil des Gesamtwerks in den Blick nehmen und folglich weniger interessant finden würde als das der jeweils etwas älteren oder etwas jüngeren Kollegen. Puccini war zu alt und wurde auch als zu altmodisch empfunden, um für die Historiographie der Moderne ernstlich in Betracht zu kommen. Und in der Musikgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts blieb für ihn auch nur ein sehr enges Segment reserviert, nämlich dasjenige der italienischen Verdi-Nachfolge.“

Wertvoller historisch-kritischer Ansatz

Bei dem durchaus gelungenen Versuch den musikgeschichtlichen Diskurs und die Strukturen der zu Puccinis Zeit immer wirkmächtiger werdenden Musikindustrie nachzuzeichnen, tappt Arnold Jacobshagen allerdings selbst ab und zu in die Falle dieser Mechanismen, die er offenlegt. Zwischendurch wirkt es, als wolle er den Komponisten rehabilitieren und die Nachwelt doch von dessen Qualität als kompositorisches Genie überzeugen, ihr beweisen, dass sie die Tiefe und Raffinesse von Puccinis Werken systematisch unterschätzt hatte. Wahrscheinlich ist das sogar wahr – da argumentiert Arnold Jacobshagen schlüssig –, aber am Ende bringen Reflexe wie dieser den musikwissenschaftlichen Diskurs nicht wirklich weiter. Der historisch-kritische Ansatz des ersten Teils dieser Abhandlung ist vor diesem Hintergrund umso wertvoller.
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